VON UNSERER MITARBEITERIN
GABRIELE WEINGARTNER

Er entstammt einer äußerst produktiven Generation, der 1936 in Berlin geborene Maler Peter Haese. Mit ihm zusammen in der HAP-Grieshaber-Klasse an der Akademie der Künste in Karlsruhe studierten auch Walter Stöhrer, Horst Antes und Dieter Krieg, allesamt Künstler, die sich nach ihrer Ausbildung höchst unterschiedlich, ja konträr voneinander entwickelten. ,,Das kommt daher", sagt Haese, der schon seit Jahren im pfälzischen Kandel wohnt, ,,dass uns Grieshaber nie an die stilistische Kandare legte." 

Und so ist denn auch er unverwechselbar geworden, irgendwie hatte er keine andere Wahl. Sein neoexpressionistischer Duktus, dieser immer wieder scheinbar leicht in Gang gesetzte Wirbelsturm malerisch höchst virtuos umgesetzter Spontaneität, sein unangepasstes, sarkastisches, bisweilen verzweifeltes Menschenbild: all diese Elemente wurden zu Haeses Markenzeichen und vielfach ausgezeichnet, 1992 zum Beispiel mit dem Kunstpreis der Pfälzischen Wirtschaft. Aber auch zahllose Ausstellungen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zeugen vom kreativen Starrsinn dieses Künstlers, der nie, wie er im Gespräch offen zugibt ,,die Nerven und den Mut hatte", freischaffend tätig zu sein und stattdessen lieber Kunsterzieher am Wörther Europa-Gymnasium wurde. Gerade die solide Einbindung in den Lehrerberuf verschaffte ihm die Freiheit, seine malerische Ausdruckskraft ungehemmt und ohne Angst vor Existenzsorgen fließen zu lassen. 

Sogar einen Roman hat Peter Haese in der Schublade, weil er sich zwischen Malerei und Schreiben lange nicht entscheiden konnte. (Vorbild für seine literarischen Ambitionen: Musils ,,Mann ohne Eigenschaften".) Und in der Scheune seines Kandeler Grundstücks lagern in der Tat Hunderte von Gemälden, die sämtlich im Hof des Anwesens - manchmal bei Gefrierpunkttemperaturen - entstanden, da der Künstler große Formate unter freiem Himmel zu malen pflegt. Zu sagen, Haeses Arbeitswut sei nicht zu bremsen, ist also keine Übertreibung. Im Gegenteil. Die Tage werden kommen, da ihm seine Bilder buchstäblich über den Kopf und aus dem Haus heraus wachsen. Dabei blieben Peter Haeses Pinselschwünge tatsächlich all die Jahre heftig und direkt, man kann es sehen beim ,,Bilder-Blättern" im ausgelagerten Archiv. Sein malerisch so lust- wie effektvoller Umgang mit unverhüllten, deftigen ,,Aphroditen", voluminösen ,,Beach-Ladies" und kaufsüchtigen ,,Aldi-Girls", aber auch groben Kerlen mit aufgerissenen Mäulern auf Power-Maschinen, überhaupt seine Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper beiderlei Geschlechts scheint ungebrochen.

 Im Gespräch aber wirkt der im Künstlerischen so wenig ,,politisch korrekt" erscheinende, eben eher vital und stürmisch arbeitende Künstler erstaunlich sanft und sensibel und behauptet, nicht etwa ,,Macho"-Bilder, sondern stets ,,Adorationsbilder" gemalt zu haben. Was kann er dafür, dass die Welt so sehr die Zähne bleckt, dass er sie immer wieder genau so und nicht anders malen muss? 

Auch die zeichnerische Begegnung mit dem eigenen Gesicht ist ihm nicht fremd, er übt sie täglich, die selbstquälerische Revision. Und seit dem 11. September hat Peter Haese sich auch erlaubt, seine Eindrücke vom tagelangen, hilflosen und obsessiven Fernseh-Horror-Trip als eine Art überdimensioniertes Diarium radikal zu visualisieren. Zahlreiche schnell und spontan ,,hingeworfene" Blätter entstanden so, und die Besucherin erkennt erstaunt, dass Haese zur Formulierung des nicht enden wollenden Schreckens sein Ausdrucksprinzip nicht unbedingt ändern musste, höchstens verschärfen und zuspitzen. 

Denn jene Disparatheit, die auch schon vorher seine Arbeiten kennzeichnete, jene nicht mehr rückgängig zu machende Trennung von Körper und Psyche, die Haese auf seinen Bildern bis zum Exzess, ja, bis zur Zerstörung der körperlichen Ganzheit betrieb, sie hat ihn bei der bildnerischen ,,Schilderung" von ,,Ground Zero" auf eine furchtbare Weise eingeholt. Höchstens andere Vorzeichen erhielt seine so forsch und unbarmherzig zum Ausdruck gebrachte Aggressivität, die sich um die Grenzen des so genannten guten Geschmacks nie kümmerte. Denn jetzt hat der Künstler die zerstückelten Opfer gemalt und nicht die einsamen Hedonisten und Voyeure in der frivolen Leichtigkeit ihres Seins, - und innerhalb seiner immer noch so raumgreifenden Dynamik mutet dies plötzlich fast defensiv und merkwürdig paradox an. 

Es wäre zu wünschen, dass Haese seine Bilder vom 11. September möglichst bald ausstellt: bevor die Schrecken der Realität mit medialen Mitteln in den Bereich der Fiktion gerückt worden sind. Denn wovon man nicht adäquat sprechen kann, sollten die Maler wenigstens malen dürfen. So sie es wollen. Und können vor allem.